von Martina » So 5. Feb 2012, 22:02
Also wenn man unter 'orientalischem Flair" versteht, dass
klapprige Dolmus mit bis auf´s Flies abgefahrenen Reifen an jeder Bananenkiste stoppen,
Autofahren wegen der vielen Schrottkisten ein Vabanque-Spiel ist,
ich 5 Stunden für jeden Großeinkauf brauche, weil ich von Bakkal zu Temizlikci, von Kasap zu Sütcü muss,
Küchengeräte wie Toaster ein unerhörter Luxus sind,
der Strom für Stunden ausfällt, weil jemand "Gewitter" schreit,
bei jedem Regen der Basar unter Wasser steht,
Internet nur in 2 Lokalen der ganzen Stadt verfügbar ist,
es keinen Supermarkt gibt und Kindergärten unbekannt sind,
Raki zwar nur 5 TL die Flasche, Babynahrung aber 30 TL für 250 gr kostet,
Shampoo ungeklärter Herkunft literweise verkauft wird (und wahrscheinlich eher zum Autowaschen geeignet ist)
man im Sommer ab dem 2. Stock zwischen 16 und 20 Uhr entweder gar nicht oder nur kochend heiß duschen kann, weil der Wasserdruck nicht ausreicht,
Eimer im Wohnzimmer zum normalen Inventar im Winter gehören und Fenster grundsätzlich im Dezember verklebt werden,
es in den meisten Restaurants - wenn überhaupt - nur eine allaturca-Toilette gibt,
man für einen Kinofilm oder eine Zahnbehandlung nach Antalya muss,
dann kann ich da dankend drauf verzichten.
Ich kann schon verstehen, dass es für Touristen netter ist, eine Frau, die vor einer Steinhütte in einem Blechtopf auf offenem Feuer kocht, zu fotografieren als eine, die das Essen in ihrer Einbauküche zubereitet. Aber der Urlaubsort und seine Bewohner sind nun mal kein Zoo, der zur Besichtigung freigegeben ist. "Pittoresk" ist eine gern genommene Beschreibung für tolle Reisetipps, allerdings bedeutet "pittoresk" auch eigentlich immer komplett fehlender Komfort für die Leute, die das ganze Jahr über in den "malerischen Hütten" hausen müssen.
Klar, wenn wir im Sommer in der Yayla sind, finde ich es auch toll und erholsam und alles, wenn wir abends beim Schein von Gaslampen um ein Sofra auf dem Boden hocken und das Essen geniessen, das draussen auf dem Holzfeuer entstanden ist. Es ist auch spaßig, mal schnell nach draussen zu gehen und mit dem Tonkrug Wasser aus der Quelle zu schöpfen, die so eiskalt ist, dass sie nebenbei noch als Kühlschrank dient (ganz unpittoresk verwendet meine Schwiema dazu wasserdichte Tupperdosen, was den Lagerbestand enorm ausgeweitet hat....) aber spätestens wenn der erste Berg Wäsche ansteht, das Wasser genauso aus der Quelle geschöpft werden muss und erst mal auf dem Holzfeuer auf Waschtemperatur gebracht werden musst, lässt meine Begeisterung enorm nach. Wann hat einer von Euch eine komplette Wäsche mit der Hand erledigt?
Gut, so extrem ist es in Alanya gottseidank schon so lange nicht mehr, dass es keine Touristen geben dürfte, die dem Bild der Wäscherin nachweinen könnte.
Aber mir - gemeinsam mit den allermeisten Residenten, die "richtig" hier leben und nicht im Dauerurlaub sind, und mit den Türekn sowieso - sind die allermeisten Neuerungen hochwillkommen. Auch die im Basar. Ich denke noch mit Grausen an den Slalom, den man mit Kinderwagen noch vor wenigen Jahren im Basar machen musste: mit Waren zugestellte Wege, halbmeterhohe Bürgersteige, nix behindertenfreundlich (was übrigens auch Mütter mit Kinderwagen als immense Erleichterung erfahren). Am "schönsten" war es dann, wenn die auf dem Bürgersteig aufgetürmten Sachen mit Stoff zugedeckt waren, wegen der Sonneneinstrahlung. Shopping absurd.
Was mich - wie den meisten hier - allerdings traurig macht, ist der hemmungslose Bauboom....